Samstag, 14. Februar 2009

Skandal: Steglitz ein Entwicklungsland?

Neulich um 6:15 stand ich wie in eine Sardinenbüchse gequetscht im Bus 285 in Steglitz. Es war nicht das erste mal, dass ich mich in diesem Bus unangenehmer bedrängt gefühlt habe, als es je ein Punkkonzert schaffen könnte. Mit meinem Rücken an die Frontscheibe (ja, nicht jeder Busfahrer besteht darauf, dass die Fahrerplattform frei bleibt) gequetscht, wurde mir plötzlich einiges klar.

Hypothese: Steglitz ist ein Entwicklungsland
Methodik: Selbstversuch + Nachdenken
Ergebnisse:
1: M85 oder 285 fahren unterscheidet sich nicht deutlich vom Matatu Fahren in Uganda oder vom Überlandbus Fahren in allen asiatischen Ländern, die ich bisher bereiste. Klar, man muss statt mit einem Sack lebender Frösche, auf die man treten könnte, eher auf Fiffi aufpassen, aber das Gefühl ist das gleiche. Zudem steht man dicht gedrängt in schlechter Luft und der Fahrer versucht vergeblich die versäumte Zeit wieder aufzuholen.

2: Die Infrastruktur ist schlecht. Wer nicht zu den wenigen Wohlhabenden gehört, die sich ein Auto leisten können, hat Pech, denn das öffentliche Nahverkehrsnetz ist wirklich bescheiden.

3: Die quasi im Busch gelegenen Landkliniken von Steglitz sind deutlich schlechter als die Kliniken im Stadtzentrum Berlins. In Uganda hat eigentlich nur der auf dem Land gearbeitet, der in der Stadt keinen Job bekommen hat. Ich möchte hier keine traurigen Parallelen ziehen.

4: In den Villengegenden in den Randgebieten von Steglitz wohnen vornehmlich Weiße.

5: Und das, obwohl Steglitz wird von einem Schwarzen regiert.

6: Überhaupt herrscht Armut in Steglitz. Viele Villenbesitzer können sich heutzutage keinen zweiten Jaguar mehr leisten - und da denkt der Rest der Welt nur an die hungernden Kinder in Afrika. Schlimm.

7: Wenn man Wikipedia glauben schenken darf, waren auch früher die Wahlberechtigten Weißen von Steglitz eher rechtskonservativ.
Steglitz war der Berliner Bezirk, der bei der Reichstagswahl 1933 von allen Berlinern Bezirken die höchste Zustimmung für die Nationalsozialisten zeigte.
Seinerzeitige Stimmverteilung:
* 45,0 % NSDAP
* 19,3 % Kampffront Schwarz-Weiß-Rot
* 13,9 % SPD
* 10,5 % KPD
* 05,0 % Zentrumspartei
wer im Bus gut hinhört, merkt, dass sich daran bis heute nicht viel verändert hat. Wenn auch subtiler und hinter vorgehaltener Hand. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Appartheit in Steglitz immernoch zelebriert wird.

8: Dass es in der von mir viel gepriesenen Berliner K-Statistik relativ gut für Steglitz aussieht, kann nur eines heißen: die lokale Polizei ist ebenso korrupt wie die Jungs an der grenze zu Laos, die mir gegen ein paar Dollar nen Stempel in den Pass geklatscht haben und mich über eine eigentlich geschlossene Grenze haben passieren lassen. Vermutlich ist also auch die Mafia bereits in Steglitz angekommen. Meine persönlichen Erfahrungen (die sicherlich über jede Statistik erhaben sind) lassen mich vermuten, dass hier ordentlich bei der K-Statistik beschissen wurde, denn die Kriminalität wurde vermutlich in Steglitz erfunden.

9: Man muss nur mal nachts U9 fahren, dann wird einem schnell klar: schickes Heese Gymmi hin oder her - mit der Schulbildung kann es nicht weit her sein in Steglitz. Vermutlich ist etwa jeder 3. hier Analphabet, zumindest sekundärer, das jedenfalls ist der Eindruck, den es bei mir hinterließ, als ich die Bengels und Rotzgören (man könnte fast meinen es habe sich um die Art der gemeinen Jungfrauschlampe gehandelt)dabei mitanhörte (bei der schlechten Gesundheitsfürsorge in Steglitz, scheinen auch die Jugendlichen schon stark Gehör geschädigt zu sein - einen anderen offensichtlichen Grund für das Gebrüll gibt es nicht) wie sie sich gegenseitig ihre SMS vorgelesten.

Für mich steht nun fest: Steglitz sollte als developing country bei der UN aufgenommen werden oder zumindest Geld aus dem Länderfinanzausgleich erhalten, damit es seine bürokratischen Apparate noch etwas aufblähen kann. Es wird ein langer Weg für Steglitz, Bildungsmisere, Armut, Kriminalität, Korruption und soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Auch bei der Errichtung einer gescheiten Infrastruktur für Verkehr und Gesundheit (Anm.: auf die Idee, ein Universitätsklinikum fern ab des öffentlichen Nahverkehrs zu errichten, konnten auch nur die Automobil verrückten Amerikaner kommen. Das lehrt uns Nachhaltigkeit: bei nachhaltiger Entwicklungshilfe sollten die errichteten Einrichtungen so erbaut werden, dass sie auch von der Bevölkerung vor Ort betrieben werden können.) braucht Steglitz dringend Hilfe.
Wer jetzt in guter, alter, idealisierter Weltenbummlermanier von mir hören möchte: "naja, politisch und infrastrukturell ist da einiges im Argen - aber die Leute... die Leute sind so nett und offenherzig..."
Tut mir leid, liebe Steglitzer, da müsst ihr euch in Zukunft wohl etwas mehr Mühe geben.

Jetzt geh ich mal ins Bett, um dann morgen früh wieder nach Steglitz zu zuckeln... bin mir jetzt schon sicher, dass insbesondere die Busfahrt mir den Tag versüßen wird.

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